Oberstleutnant Matthias G. befindet sich im Augenblick im Einsatz in Afghanistan. Die AUGUSTDORFER NACHRICHTEN haben mit ihm exklusiv ein Interview geführt.
AUGUSTDORFER NACHRICHTEN: Seit wann genau sind Sie in Afghanistan?
Matthias G.: Nach einer 14-tägigen isolierten Unterbringung in Deutschland, bin ich seit dem 09.12.20 im Einsatzland. Die ersten Kräfte des Bataillons waren bereits eine Woche zuvor hier.

AN: Wie viele Soldaten aus Augustdorf sind mit dabei?
Matthias G.: Mittlerweile sind ca. 250 Soldaten aus der Panzerbrigade 21 vor Ort, davon die überwiegende Masse aus dem Panzergrenadierbataillon 212. Das heißt aber auch, dass weiterhin viele Soldaten im Heimatstandort Dienst leisten und dort z.B. aktiv in der Bewältigung der CORONA-Krise regional und überregional eingebunden sind.
AN: Wie haben Sie die ersten Tage/Wochen erlebt?
Matthias G.: Da es mein insgesamt dritter Einsatz in AFG ist waren viele Umstände und Rahmenbedingungen bekannt. Zudem hat der telefonische Austausch mit unseren Vorgängern und auch den ersten eigenen Soldaten, dem Vorkommando, geholfen, die Erwartungen an die ersten Tage anzupassen. Dennoch kamen viele Eindrücke zusammen und viele Informationen, die man am Abend verarbeiten musste, um schnell die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten, Verfahren aber vor allem die handelnden Personen kennenzulernen. Nach gut einer Woche ist man „drinnen“.
AN: Was waren Ihre nachhaltigen Eindrücke bisher?

Matthias G.: Ich war von der Flexibilität der Soldatinnen und Soldaten meines Verbandes gerade im Zuge der Übernahme beeindruckt – nach der anstrengenden und zeitlich fordernden Vorausbildung in Deutschland haben sich alle sofort auf die hiesigen Rahmenbedingungen eingestellt. Aufgrund der zum Zeitpunkt des Einsatzbeginns offenen Entscheidung, wie der Einsatz weitergeführt, angepasst oder beendet wird, war viel Eventualfallplanung nötig. Wir mussten auf alle Optionen vorbereitet sein, um nach einer politischen Entscheidung, diese auch ohne großen Zeitverzug umsetzen zu können.
AN: Gab es Kontakte zu der einheimischen Bevölkerung?
Matthias G.: Ja, die gibt es täglich – natürlich immer unter Beachtung der COVID-Schutzmaßnahmen! CORONA ist natürlich auch hier eine nicht sichtbare Gefahr, auf die man eingestellt sein muss. Der Kontakt ergibt sich v.a. durch Patrouillentätigkeiten zur Sicherung und Gespräche aus dem Kernauftrag der Mission, dem Train, Adivse and Assist (TAA) unserer militärischen Berater.
Der Kontakt ist wichtig für uns, um die Stimmung aufzunehmen und auch Informationen über die allgemeine oder spezifische Lage im Raum zu erhalten. Uns gegenüber ist das Verhalten bisher grundsätzlich freundlich und kooperativ, die Menschen beschreiben offen und bereitwillig, wie es ihnen geht, welche Gefahr sie empfinden und was ihre Forderungen sind. Insgesamt wird immer wieder gedankt, dass wir hier sind und ihnen in dieser schwierigen Phase helfen.
AN: Wie sieht der „normale“ Tagesablauf von Ihnen /den Soldaten aus?

Matthias G.: Die Tagesabläufe unterscheiden sich sehr und reichen von achtstündigen Schichtdiensten, Bürozeiten von 8–20 Uhr oder Sicherungsaufgaben bis hin zu Patrouillentätigkeiten in der Nacht.
Mein Tag beginnt um 07:00 Uhr mit den ersten Updatebriefings zur Lage sowie den Vorhaben des Tages und endet meist deutlich nach 20 Uhr. Dann gilt es, die über den Tag gewonnenen Informationen gezielt zu verteilen, Aufgaben an den Stab/die Kompanien zu geben und vorgelegte Produkte/Projekte zu kontrollieren. Immer wieder kommen auch unvorhersehbare Aspekte kurzfristig auf die Tagesordnung, für die man sich dann Zeit nehmen muss. Wenn dann noch Zeit übrigbleibt, runden natürlich der Sport und ein Zusammensitzen mit den Kameradinnen und Kameraden den Tag ab. Wo immer möglich halte ich enge Verbindung mit meinem Stellvertreter in Deutschland, um über die allgemeine Lage im Verband informiert zu sein. Das Leben geht ja nicht nur hier im Einsatz, sondern auch beim Team Heimat weiter. Insgesamt sind es für mich viele Schreibtischtätigkeiten und Planungsbesprechungen über den Tag verteilt – zumeist im multinationalen Umfeld. Wo immer möglich, versuche ich auch Patrouillen oder TAA-Aktivitäten zu begleiten, um die Anforderungen an die Soldatinnen und Soldaten aus eigenem Erleben heraus besser einschätzen zu können. Außerdem gibt es wichtige Aufschlüsse zu dem, was man anweist und den Soldaten als Auftrag gibt. Die Frauen und Männer meines Verbandes haben je nach Aufgabe vergleichbare Zeiten. Die Patrouillentätigkeiten können sich oftmals auch auf deutlich mehr als fünf bis sechs Stunden erstrecken – dies benötigt natürlich auch eine entsprechende Vor- und Nachbereitung, damit sowohl das Personal als auch das Material den gesamten Einsatz gut übersteht. Denn: Der Einsatz ist kein Sprint – es ist eher ein Marathon, die Kräfte müssen eingeteilt werden!
AN: Was vermissen Sie am meisten aus Ihrer Heimat?
Matthias G.: Natürlich vermisse ich meine Familie am meisten – auch wenn wir den Kontakt fast täglich halten können. Über den Komfort hier im Lager kann ich nicht klagen; man hat sich über die vielen Jahre hier gut etabliert und auch unter den CORONA-Bedingungen versucht, das Beste daraus zu machen – bei aller Vorsicht!
Aus der Heimat vermisse ich am meisten Flora und Fauna – der Sand und die klimatischen Bedingungen – vor allem die, die jetzt mit dem Frühjahr und Sommer noch kommen – unterscheiden sich schon deutlich von den heimischen Gefilden. Ein saftiges Grün, eine Wiese oder einen Laubwald, sucht man hier in der Region oftmals vergebens.
AN: Wie häufig können die Soldaten Kontakt zur Familie haben?

Matthias G.: Aus meiner Sicht ist die Verbindung fast täglich über verschiedene Medien möglich. Die technischen Voraussetzungen sind mit einer stabilen WLAN-Abdeckung grundsätzlich gut und werden, soweit ich das beurteilen kann, auch intensiv genutzt. Natürlich können sie aus Schutzgründen nicht über alle Themen detailliert sprechen oder sagen, was sie z.B. morgen konkret machen. Ich stelle aber auch fest, dass einige zum altbewährten Brief oder der Karte zurückkehren. Natürlich ist auch die Postlieferung immer wieder ein besonderes Highlight.
AN: Fühlen Sie sich gut ausgerüstet?
Matthias G.: Ja, sowohl die Individualausrüstung des Soldaten als auch die mitunter multinationale Zusammensetzung von Fähigkeiten sind als gut zu bewerten. Jetzt kommt es darauf an, die Ableitungen aus der zu erwartenden politischen Entscheidung über die Zukunft der Mission zu ziehen.
AN: Wie sieht die aktuelle Bedrohungslage bei Ihnen aus?
Matthias G.: Grundsätzlich befinden wir uns in einem Bürgerkriegsgebiet – dieses Bewusstsein muss jeder, ob er bzw. sie vorrangig im Lager oder außerhalb des Lagers eingesetzt ist, haben! U.a. auch aufgrund des noch gültigen USA-Taliban Abkommens sind Kräfte der NATO-geführten Resolute Support Mission kein vorrangiges Ziel für von Angriffen. Dies kann sich aber zukünftig ändern. Um auf diese mögliche erhöhte Gefahr eingestellt zu sein, müssen wir uns auch darauf vorbereiten. Die Gefahr geht vor allem vom Beschuss der Patrouillen oder unseres Lagers aus. Auch die Gefahr durch Sprengfallen oder Innentäter ist eine latente Gefahr – solchen Bedrohungen wirkungsvoll entgegenzutreten, wird auch bei Trainingsvorhaben immer wieder geübt!
AN: Gab es seit Ihrem Ankommen offensichtlich gefährliche Situationen?
Matthias G.: Jeder mag „gefährlich“ etwas unterschiedlich empfinden – aber nein, das gab es hier in unserer Zeit noch nicht.
AN: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den anderen Nationen und anderen Truppenteilen?
Matthias G.: In meinem multinationalen Force Protection Bataillon sind nahezu 1000 Soldaten aus fast einem Dutzend Nationen – es gibt also eine umfangreiche Form der täglichen Zusammenarbeit. Die Arbeitssprache ist daher vorrangig Englisch. Aufgrund der Größe des Verbandes haben wir fast alle Fähigkeiten – u.a. Schutzkräfte aus Deutschland, der Mongolei, den Niederlanden, Belgien und Georgien, Sanität, Feldjäger, Logistik – im eigenen Bereich. Von daher ist die Zusammenarbeit gut etabliert und mittlerweile routiniert. Hier gilt, sich bspw. über die letzten Patrouillentätigkeiten in einem Gebiet auszutauschen, über die Befahrbarkeit von Straßen vor allem bei Wetterumschwüngen zu informieren oder auch mit dem Verband, welcher die Hubschrauber hier in Afghanistan stellt, eine Ausbildung abzustimmen.
AN: Wann ist es geplant, dass Sie nach Hause kommen? Was werden Sie dann als erstes machen?
Matthias G.: Je nach politischer Entscheidung stellen wir uns auf einen Einsatz bis Mitte Juni ein, um dann an unsere Nachfolger zu übergeben. Da die Temperaturen in vermutlich kurzer Zeit deutlich über 40 Grad liegen werden, freue ich mich auf ein Bad im Pool mit anschließendem Grillen, barfuß über Gras zu gehen, einem Nickerchen in der Hängematte und am allermeisten – natürlich – auf das Wiedersehen mit meiner Familie!
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